Sind seelische Wunden heilbar? Systemische Aufstellungen für Tiere
So setze ich systemische Aufstellungen in der Praxis ein (Systemische Aufstellungen)
Ich war gerade dabei, meinen Haushalt zu machen und überlegte noch, was ich alles einkaufen muss, als das Telefon klingelte. Am anderen Ende war eine besorgte Katzenhalterin.
In meinem Job kann es so schnell passieren, dass ich von „einer Welt“ in eine ganz andere katapultiert werde. Denn natürlich weiß ich nie, wann der nächste Hilferuf kommt und welches Schicksal da am anderen Ende auf mich wartet. Manchmal sind es sogar Menschen, die in Tränen aufgelöst sind, weil ihr Tier kurz davor ist, sich zu verabschieden und sie gern noch ein letztes Gespräch vor seinem Tod hätten.
In diesem Fall ging es zum Glück nicht um Leben und Tod, aber um eine längere Leidensgeschichte. Die Dame erzählte mir, dass sie auf Empfehlung ihrer Tierärztin nun doch einmal bei mir anriefe, obwohl sie echt schon vieles mit ihrer Katze ausprobiert habe und so langsam nicht mehr weiter wisse.
Katze Silva hatte seit einiger Zeit damit begonnen, ihr großes Geschäft überall in der Wohnung zu verrichten und immer aggressiver zu werden. Sie ließ sich kaum noch anfassen, geschweige denn ordentlich von der Tierärztin untersuchen. Niemand konnte so richtig herausfinden, was ihr nun fehlte und es wurde immer schlimmer. Hinzu kam noch, dass Frauchen im Rollstuhl sitzt und es ihr kaum möglich ist, den Katzenkot an all den Stellen, an denen Silva in die Wohnung machte, wieder zu entfernen.
Die Frau erzählte mir am Telefon etwas mehr über Silvas Geschichte. Die Katze lebt schon länger bei ihr, kam aber ursprünglich aus einer Familie in der Nachbarschaft, deren Vater gestorben war. Sie hing sehr an dem Mädchen, doch musste (aus nicht ganz bekannten Gründen) ins Tierheim abgegeben werden.
Silvas jetziges Frauchen konnte das nicht mit ansehen und befreite die Katze umgehend. Sie hatte bei ihr alle Möglichkeiten, konnte auch raus gehen und war die kommenden Jahre mal hier, mal dort in der Nachbarschaft. Erst, als die andere Katze der Frau gestorben war, zog Silva von sich aus ganz bei ihr ein.
Silva war früher bei dem jungen Mädchen wohl noch eine sehr zahme, liebevolle Katze gewesen, doch die Trennung von ihr hatte ihr sehr zugesetzt. In der Zeit danach verschlechterte sich trotz liebevollem Zuhause bei ihrer neuen Halterin ihr seelischer Zustand, bis sie vor einiger Zeit mit ihrem auffälligen Verhalten anfing. Es war nicht auszuschließen, dass sie dies alles aufgrund von seelischen Belastungen tat.
Was brauchen seelische Wunden, um zu heilen?
Können Tiere, die etwas Schlimmes erlebt haben, diese emotionalen Wunden und Traumata wieder loslassen und sogar dauerhafte Verhaltensmuster, die sich daraus ergeben haben, wieder ablegen?
Meine Erfahrung ist: Auch Tiere können sich weiterentwickeln! Ja, es dauert eine Weile, bis seelische Wunden geheilt sind und sich negative Verhaltensmuster legen. Aber je besser ein Tier die vergangene Situation, die für es so bedrohlich war, im Nachhinein erklärt bekommt und einschätzen kann und je mehr es die Erfahrung macht, dass jetzt alles in Ordnung ist, desto leichter kann es jeden Tag mehr Vertrauen zu seinen Menschen aufbauen und sich mehr entspannen.
Ich habe immer wieder mit Tieren zu tun, die irgendwann einmal etwas Belastendes erlebt haben, was sie nicht verkraftet haben. Das kann wie im Fall der Katze der Verlust einer wichtigen Bezugsperson sein, ein Unfall, eine Misshandlung oder einfach eine schnelle Veränderung, auf die das Tier nicht vorbereitet wurde. Dieser einmalige, nicht richtig verarbeitete Schock kann sich später dauerhaft in chronischen Krankheiten oder unerklärlichem Verhalten äußern.
Die Menschen dieser Tiere wissen dann oft nicht, wie sie die Ursache für das Verhalten herausfinden und ihr Tier auf der emotionalen Ebene gut begleiten können.
Einige Tierhalter fühlen sich sogar überfordert, weil auch sie gewisse Ängste in sich tragen oder einmal ähnliche Situationen wie ihre Tiere erlebt haben. Es ist dann nicht leicht oder sogar fast unmöglich, sich diesen Themen ganz allein und objektiv zu nähern.
Systemische Aufstellungen als Hilfsmittel bei seelischen Wunden
Da ich die große Verzweiflung der Frau und ebenso der Katze förmlich durch den Hörer spüren konnte, musste auch ich erst einmal schlucken. Doch so leicht gebe ich nicht auf. Ich schlug vor, dass wir gemeinsam eine systemische Aufstellung (Familienaufstellung) machen, da ich damit bereits bei anderen Tieren Erfolge feiern konnte und sich diese Methode hervorragend eignet, um mehr über das Seelenleben von Mensch und Tier herauszufinde und dann gemeinsam Schritte in die Heilung zu unternehmen.
Systemische Aufstellungen helfen dabei, Gefühle und Beziehungen sichtbar zu machen. Was geht in dem Tier in der aktuellen Situation vor sich, was sind seine Gedanken und Gefühle im Hinblick auf ein Ereignis in der Vergangenheit?
Wo wurde etwas noch nicht ganz überwunden und wie steht das Tier zu seinem Menschen, zu anderen Tieren und Bezugspersonen oder zu einer körperlichen Krankheit? Gibt es etwas, das der Mensch gerade noch nicht erkennt, was aber zur Heilung des Tiers beitragen würde? Wie könnten die nächsten Heilschritte aussehen?
In einer Aufstellung kann man schnell die Konstellationen des Tiers zu all diesen Themen sichtbar machen, weil man sich nach und nach in alle wichtigen Positionen einfühlen kann. Das geschieht über Platzhalter, die man stellvertretend und intuitiv für die Positionen hinstellt, bzw. legt. Platzhalter können andere Menschen sein, die diese Positionen repräsentieren, doch ich arbeite meist alleine mit Mensch und Tier, indem ich mich selbst in alle Positionen einfühle und den Tierhalter bei Bedarf mit einbeziehe. Ich nutze dann Zettel, Stühle, Figuren oder Gegenstände, die so lange die „Position halten“.
Wenn alles, was da so im System „hakt“, erkannt, gefühlt und anerkannt wurde (indem ich es ausspreche und mit dem Menschen zusammenarbeite), ergibt sich meist aus anfänglichem Chaos eine neue Ordnung – z.B. ein inneres Bild, das Mensch und Tier hilft, nun in die Zukunft zu schauen und nach der Aufstellung weitere Schritte zu unternehmen, die wir gemeinsam durchgehen. Systemische Aufstellungen lassen sich da auch wunderbar durch weitere Methoden und Therapien ergänzen.
Praktischerweise lässt sich das Ganze sowohl vor Ort mit Mensch und Tier als direkte Zuschauer, als auch übers Telefon durchführen, sodass ich damit auch gerne mit Klienten über die Ferne arbeite.
Mehr über die Hintergründe und das Vorgehen bei den Aufstellungen erfährst du in meiner neuen Podcast Episode.
Wie reagieren Tiere auf systemische Aufstellungen?
Was ich an Aufstellungen so mag, ist dass man oft eine direkte Reaktion der Tiere erkennen kann. Wenn sie unmittelbar dabei sind, kann es schon einmal vorkommen, dass sie z.B. mitten in die Aufstellung hineinlaufen und sich auf einen Zettel oder Gegenstand legen oder stellen oder gar einzelne Gegenstände umwerfen oder an eine andere Stelle tragen.
All das gehört dann zum Prozess dazu, da die Tiere die Energie ja spüren können. Manch ein Tier sitzt aber auch nur ganz ruhig dabei oder gähnt ein paar mal auffällig (Gähnen zeigt oft an, dass der Körper eine innere Spannung abbaut). Aber natürlich muss das alles nicht geschehen. Jeder Fall ist individuell.
Silva: Der erste Schritt in dei Heilung ist die Erkenntnis
In Silvas Fall habe ich einen Hausbesuch gemacht, da sie in meiner unmittelbaren Gegend wohnt. Als ich ankam, wurde ich gleich freundlich, wenn auch etwas skeptisch, begrüßt. Frauchen erklärte mir, dass sie absolut keine Ahnung habe, was ich da mache, aber dass sie nun keinen anderen Weg mehr wüsste und man es ja immerhin mal versuchen könne.
Die Katze selbst lag während unserer Aufstellung, die ich mit Zetteln als Bodenanker durchführte, ganz ruhig auf ihrem Kratzbaum unmittelbar neben mir. Allein das war wohl schon ein gutes Zeichen, weil Silva sonst nach jedem Menschen schlug, der direkt neben dem Kratzbaum stand. Ich durfte an dem Tag ganz nah herankommen, während Silva die Aufstellung vorsichtig beäugte.
Ich fühlte mich nach und nach in alle Positionen ein und konnte schon schnell ein Gefühl der Ohnmacht von Silvas Seite wahrnehmen. Als ich auf ihrer Position stand, spürte ich klar, dass sie aus Verzweiflung heraus immer öfter ihre Häufchen mitten in die Wohnung machte. Wenn sie das tat, fühlte sie sich so, als habe sie immerhin etwas im Griff habe. In ihrem Inneren fühlte sie sich nämlich noch immer so wie die hilflose Katze von damals, die von ihrer Bezugsperson (dem Mädchen) getrennt wurde. Durch ihr aggressives Verhalten wollte sie ihr neues Frauchen gar nicht erst zu nah kommen lassen, um nicht später wieder enttäuscht zu werden, falls sie noch einmal abgegeben werden würde.
Nach und nach konnte ich Silva ihre jetzige Situation erklären und in der Aufstellung erste Heilschritte mit ihr gehen. Es ist oft wichtig, dass die Menschen alle Gefühle ihrer Tiere erst einmal in der Tiefe verstehen, bevor die Tiere diese Gefühle loslassen können.
Natürlich ärgern wir uns auch mal über ein Verhalten unserer Tiere, aber wenn wir die genaueren Hintergründe dazu erfahren, können wir echtes Mitgefühl entwickeln und dann gemeinsam einen Weg finden, wie die Tiere mit diesen Emotionen umgehen können und sich langsam neue Verhaltensmuster bilden.
Auch für Silva ging es jetzt nicht darum, sofort ihr Verhalten zu ändern, sondern wie sie dauerhaft mehr Sicherheit erlangen konnte. Ich kündigte nach der Aufstellung an, dass wir nun erst einmal abwarten müssten und gab noch einige Tipps für den weiteren Umgang mit Silvas innerem Zustand.
Die vorherige Spannung war nach der Aufstellung bei Frauchen und Katze deutlich weniger geworden. Dennoch war natürlich ein Restzweifel da: Soll das jetzt alles gewesen sein? Wird die Katze unsere Hilfe annehmen? Das sollte sich nun erst noch in der kommenden Zeit zeigen.
Chumana: Manchmal ist es einfacher, als man denkt
Die Fotos auf meiner Webseite sind bei einem Shooting mit meinen Klientinnen und ihren Tieren entstanden. Ich wollte dabei gerne die hübsche Connemara Stute Chumana mit ihrem Frauchen dabei haben, da die beiden mir auf Anhieb sympathisch waren.
Schnell war klar, dass ich mit Chumana und ihrer menschlichen Freundin gerne eine systemische Aufstellung machen wollte, die gleichzeitig ganz authentisch und real fotografiert wird. Danach wollten wir noch ein paar Fotos von einem Spaziergang am Feld entlang machen.
Für die Aufstellung hatten wir auch recht bald ein „echtes“ Thema. Denn meine Klientin und ihr Pferd waren beide etwas unsicher im Hinblick darauf, dass wir den Stall verlassen müssten, um den Feldweg entlang zu gehen.
Zum einen hatten sie erst vor kurzem den Stall gewechselt und waren noch nie alleine raus gegangen und zum anderen gab es zuvor schon immer mal wieder Situationen, in denen der sensiblen Stute etwas nicht ganz geheuer war und sie deutlich angespannt und unsicher war. Für uns Menschen war noch nicht ganz eindeutig, wovor genau sie Angst hatte und wie wir ihr da helfen konnten.
Hinzu kam auch noch, dass Chumana am Tag zuvor aufgrund einer allergischen Reaktion auch noch eine angeschwollene Lippe gehabt hatte. Sie war also nicht 100% entspannt, als wir kamen. Aber das sollte uns alles nicht aus der Ruhe bringen, denn immerhin wollten wir ja ganz authentische Situationen festhalten.
Nachdem sich Chumana erst einmal im Roundpen ein wenig bewegen und Spannung abbauen durfte, entschieden wir, die Aufstellung zuerst zu machen und es danach mal mit dem bisher noch gefährlich wirkenden Feldweg zu versuchen. Aber natürlich nur, wenn sie dazu wirklich in der Lage sein sollte.
In der Aufstellung reduzierte ich mich intuitiv auf das Wesentliche und stellte Chumana und das Thema Sicherheit auf. Was brauchte es wohl, damit sich die Stute wieder ganz sicher fühlen kann und beide gleich gemeinsam den Feldweg entlang gehen konnten?
Als Stellvertreter wählte ich intuitiv Gegenstände, die sich gerade neben dem Roundpen befanden: Einen Stuhl für Sicherheit und einen Mistboy für Chumana. Die Stute durfte währenddessen die ganze Zeit frei umherlaufen, sich alles ansehen und mitwirken, wenn sie wollte.
Das tat sie dann auch prompt und ausgiebig. Interessant war, dass es um uns herum einige Störfaktoren durch Geräusche, andere Menschen und Pferde gab. Chumana war aber ganz auf das fixiert, was jetzt passierte und nahm dabei noch nicht einmal unsere Fotografin Johanna Passon wahr.
Die Stute knabberte an mir und positionierte mich einmal neu, als ich mich in sie einfühlte und an der Stelle des Mistboys stand. Ich spürte schnell: Da ist eine gewisse Aufregung in ihr. Etwas, das gerne ausgesprochen werden möchte!
An einer anderen Stell der Aufstellung schmiss Chumana den Stuhl für „Sicherheit“ um. Das erweckte erst einmal Erstaunen bei meiner Klientin, aber ich erklärte, dass das schon in Ordnung sei und spürte hinein, was es bedeuten könnte. Da wurde mir recht schnell klar: Chumana war ein Stück weit genervt davon, dass das Thema Sicherheit so oft präsent ist und dass ihr Frauchen so viel darüber nachdenkt, was sie noch tun könnte, damit beide entspannter sind.
Als ich wieder an Chumanas Position war, spürte ich, was sie sich jetzt wünscht: Einfach nur neben ihrer menschlichen Begleiterin stehen, ihre Verbindung spüren und den Kopf ein Stück abschalten. Einfach mal gemeinsam losgehen und dann weitersehen. Manchmal kann es so einfach sein!
Ich holte also meine Klientin dazu und ließ sie sich ebenso einfühlen. Sie und ihr Pferd waren nun auch tatsächlich innerhalb der Aufstellung nebeneinander. Chumana kam ganz nah und legte ihren Kopf kurz in die Hände ihrer Begleiterin. Beide spürten die Nähe zueinander, gaben sich gegenseitig Sicherheit und Ruhe. Das war für mich ein gutes Zeichen, die Aufstellung an dieser Stelle zu beenden und es nun mit dem Feldweg zu versuchen.
Und, tatsächlich: Als wir losgingen und das erste Mal den sicheren Hof verließen, waren alle sichtlich angespannt. Wir holten noch ein anderes Pferd dazu, damit Chumana sich etwas sicherer fühlte. Den Weg gingen wir dann aber nur zu dritt entlang. Und mit jedem Schritt, den wir gingen, schien mehr und mehr eine Last von den beiden zu fallen.
An einer Stelle schnaubte die Stute und machte den Hals lang, während meine Klientin gleichzeitig dachte „Eigentlich ist das hier alles gar nicht schlimm und ganz entspannt“. Beide konnten nun wirklich die Gelassenheit und gegenseitige Sicherheit spüren, die auch am Ende der Aufstellung da war. Das innere Bild „wir gehen nebeneinander gemeinsam einen Weg“ können beide jetzt immer tiefer in sich verankern und schließlich auch im Alltag leben. Immerhin ist ja das ganze Leben ein Weg.
Natürlich ist damit allein nicht alles getan. Es gab noch ein paar tiefere Ängste, auf die wir in so einer kurzen Sitzung nicht eingehen konnten. Doch allein dieser kleine „Etappensieg“ war in dem Fall schon ein Meilenstein, auf den beide nun weiter aufbauen können. Manchmal sind die kleinsten Erfolge die besten.
Und manchmal braucht es eben auch seine Zeit, bis alte Wunden wirklich heilen. So bekam ich vor einigen Tagen eine rührende E-Mail von Silvas Frauchen, die aus Silvas Sicht formuliert war. Die Katze benutzt seit einiger Zeit nun wieder ihr Katzenklo für das kleine und große Geschäft, ist verschmuster geworden und schlief sogar schon einmal ganz friedlich bei Frauchen mit im Bett. Nur einmal hatte sie einen kurzen Rückfall. Sie und ihr Frauchen vertrauen sich langsam immer mehr und werden gerade zu einem noch besseren Team.
Möchtest du gern einmal eine einfache, kleine Aufstellung für dich und dein Tier ausprobieren?
In meiner Podcast Episode zum Thema erhältst du noch mehr über systemische Aufstellungen und bekommst eine kurze Anleitung:
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Wünschst du dir auch professionelle Begleitung bei einer Aufstellung für dich und dein Tier? Ich bin gerne für euch da.
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